Leseprobe Kapitel 7
»Wow, ist die groß!«
Mit jedem Schritt, den Leonie näherkam, schien sie um einen gefühlten Meter zu wachsen. Langsam trat Taya zurück und hob abwehrend die Hände.
»Die ist ja viel zu groß!«
»Ach was, sie ist ideal für dich.« Er streckte seine Hand nach Leonie aus, die sanft dagegen stupste. »Auf ihr haben schon viele das Reiten gelernt.«
»Ich ... ich aber nicht.«
Oh nein! Auf dieses Monstrum konnte sie sich nicht setzen. Es würde mit ihr durchgehen ... und dann ... Taya sah sich jetzt schon im Staub liegen, die Arme und Beine in einem unnatürlichen Winkel abstehend. Am Ende würde sie sich gar das Genick brechen!
»Kann ich nicht eines der Ponys ...«
»Papperlapapp! Die sind doch viel zu klein für dich und brechen unter deinem Gewicht nur zusammen.«
»Sei nicht immer so frech zu mir«, antwortete sie und streckte ihm die Zunge entgegen.
»So, bin ich das?«
Er lächelte und schaffte es damit irgendwie, ihre Angst zu mindern.
»Ja, das bist du«, flüsterte Taya und trat an seine Seite.
Sie hatte sich wirklich kindisch verhalten und schämte sich dafür in Grund und Boden. Wenigstens jetzt wollte sie reifer wirken.
»Und du meinst, ich kann mich auf sie setzen, ohne dass einem von uns beiden etwas passiert?«
»Na, erst schauen wir, ob ihr beide euch vertragt. Halt deine flache Hand hin, dann kann sie deinen Geruch aufnehmen und wird dich wiedererkennen.«
Er zeigte ihr, wie sie es machen sollte.
»Aber was ist, wenn sie mich beißt?«
Jetzt hielt sich Demian den Bauch vor Lachen.
»Leonie? Niemals! Sie ist das gutmütigste Pferd hier im Stall. Wirklich eine ganz Liebe.«
»Wenn du meinst? Aber auf deine Verantwortung! Und wenn sie mich doch beißt, wirst du mich pflegen.«
»Mit dem größten Vergnügen.«
Vorsichtig streckte Taya die Hand aus und der Haflinger berührte mit seinen Lippen ihre Finger. Nichts geschah.
»Wie weich sie ist!«, rief Taya überrascht. »Das fühlt sich ja an wie Samt.«
»Und nun nimm einmal deine andere Hand und streichle ihr damit über die Nüstern.«
»Über die was?«
»Nüstern.«
Demian hob den Zeigefinger und begann zu erklären: »Die Nüstern bezeichnet die Nasenöffnung eines Pferdes. Sie sind besetzt mit ganz vielen kleinen Härchen, die für ein Pferd einen ausgeprägten Tastsinn bedeuten.«
»Ich ... ich soll ihr in die Nase fassen? Igitt!«
Angewidert verzog Taya das Gesicht.
»Ach, was du wieder verstanden hast! Komm, ich zeige es dir.« Demian griff nach ihrer rechten Hand.
Schon wieder durchzog ein leichtes Kribbeln ihre Magengegend. Was war das nur? Ob sie wohl krank wurde? Doch mehr Zeit hatte sie nicht zum Überlegen, denn schon spürte sie auch an dieser Hand das weiche Fell.
»So, und nun einfach streicheln. Du weißt doch hoffentlich, wie das geht, oder?«
Demian verzog die Augenbrauen und beäugte sie misstrauisch.
»So blöd bin ich ja nun auch wieder nicht.«
Sie bewegte ihre Hand auf und ab und Leonie hielt still. Offenbar gefiel es ihr? Und wenn sie ehrlich war: Auch sie hatte ihre Freude daran. So langsam konnte sie verstehen, warum die Mädchen in ihrer Klasse so sehr von Pferden begeistert waren.
Plötzlich schnaubte Leonie.
Taya sprang erschrocken ein Stück zurück und Leonie galoppierte davon.
Dieses Mal konnte Demian sich vor Lachen nicht mehr halten und ließ sich in den Staub fallen, auf dem er herumkullerte.
»Nein. So etwas habe ich auch noch nie erlebt! Stadtmenschen! Ihr seid doch zu komisch!«
»Ach ja? Und was seid dann ihr Menschen vom Lande?«
Taya fühlte sich, als wäre sie im Sportunterricht vom Schwebebalken gefallen und mit dem Hintern zuerst gelandet. Dieser dumme Tölpel! Was wusste er schon von ihr und der Stadt und überhaupt von den Gefühlen eines Mädchens?
Sie drehte sich herum und rannte weg, sodass er ihre Tränen nicht sehen konnte.