Leseprobe Kapitel 2

»Papa, Papa! Nun wach schon auf!«

Taya rüttelte an der Schulter ihres Vaters, der noch immer schnarchte. Unfassbar! Wie konnte er nur diesen Tag verschlafen? Heute, wo sie endlich zum ersten Mal allein in den Urlaub fahren durfte?

»Papa!«, drängelte sie von Neuem und hielt ihm die Nase zu. Einen Moment verebbte das Schnarchen, doch noch immer schlug er die Augen nicht auf.

»Papa! Nun komm schon! Der Zug fährt bald! Und den möchte ich nur ungern verpassen!«

Ein Augenlid flackerte, dann hob es sich zur Gänze. Ein graues Auge schaute sie an.

»Ah! Na endlich!«

Sie ließ von ihm ab und stemmte die Arme in die Hüfte.

»Was ist denn los?«, murmelte er verschlafen und setzte sich auf.

»Es sind Ferien!«

Keine Reaktion.

Verstand er denn immer noch nicht?

»Du musst mich zum Bahnhof bringen!«, erklärte Taya und zog ihm die Bettdecke weg.

»Wie spät haben wir es?«

Verstohlen wischte er sich die Augen und schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk.

»Schon neun Uhr! Oh nein, ich habe verschlafen!«

»Das sage ich doch schon die ganze Zeit.«

Sie schüttelte den Kopf und lächelte, als er aufsprang und in das Bad rannte.

Nur drei Minuten später kam er wieder heraus, bereits umgezogen, aber noch die Zahnbürste im Mund.

»Hascht du schon frühschtücht?«, erkundigte er sich.

»Ja, klar!«

Mit einem zufriedenen Nicken eilte er zurück ins Bad. Kurz darauf konnte man sein Gurgeln hören.

»Wieso bist du auf einmal so scharf auf die Reise?«, fragte er, während er sich die Jacke überzog und nach ihren Koffern griff. »Willst du ausziehen?«, fügte er hinzu und runzelte die Stirn.

»Ach Papa, eine junge Frau wie ich, die braucht nun einmal so viel. Und außerdem: Wenn ich dort meinen Traumprinzen kennenlerne, dann muss ich doch gut aussehen.«

Der Vater schloss die Tür hinter sich und steckte den Wohnungsschlüssel ein.

Doch mitten in der Bewegung hielt er inne und sah sie aus schreckgeweiteten Augen an.

»Wie? Traumprinz? Du sollst zum Reiten dorthin fahren und nicht, um irgendwelche Jungs kennenzulernen.«

Er warf das Gepäck in den Kofferraum seines Wagens.

»Ich glaube, auf der Fahrt zum Bahnhof müssen wir noch einmal miteinander reden.«

»Papa, ich habe doch nur einen Scherz gemacht.«

»Das will ich doch auch hoffen«, tadelte er, während er den Motor startete. »Und ich kann mich wirklich auf dich verlassen?«

»Sicher.« Taya lächelte. Warum mussten Väter nur so sein, wie sie waren? Wahrscheinlich würde sie in seinen Augen immer sein kleines Mädchen bleiben. Für eine Weile wollte sie ihm diese Illusion noch lassen. Das hieß aber nicht, dass sie nicht jetzt schon nach ihrem eigenen Weg schauen durfte.

Sie sah aus dem Fenster und träumte von ihrem Urlaub auf dem Reiterhof.

* * * * *

Der Zug kam pünktlich und jetzt wurde es ihr doch ein wenig flau im Magen. Alleine auf Reisen - in einer völlig unbekannten Umgebung. Ob das gut gehen konnte? ›Natürlich‹, rief sie sich selber zur Ordnung und straffte die Schultern.

»Jetzt ist der Moment des Abschiedes da.«

Ihr Vater stellte ihre Koffer ab und sah den Zug an.

»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es wird alles klappen.« Taya schluckte den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. So lange hatte sie sich auf einen Urlaub allein gefreut, doch wohl war ihr nicht dabei. Das erste Mal allein ... Vielleicht sollte sie ihren Vater an die Hand nehmen und ihn bitten, sie wieder nach Hause zu bringen?

›Du bist vierzehn Jahre alt. Fast schon erwachsen! Jetzt stell dich nicht so an‹, munterte sich Taya auf und schlang die Arme um den Hals ihres Vaters.

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»Ich werde dich vermissen«, flüsterte er und lauter fügte er hinzu: »Es tut mir leid, dass ich nicht mitkommen kann. Der nächste Urlaub gehört aber uns beiden. Versprochen?«

»Versprochen!« Nur langsam löste sie sich aus der Umarmung. »Du wirst mir auch fehlen.«

»Abfahrt! Alle einsteigen und Vorsicht an der Bahnsteigkante!«, rief vom Ende des Zuges her der Schaffner und blies in seine Trillerpfeife.

Taya nahm ihre Koffer und stieg in den Zug. Die elektrischen Türen schlossen sich. Sie aber blieb dahinter stehen, um ihrem Vater zum Abschied zuzuwinken.

Erst nachdem sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte und der heimatliche Bahnhof außer Sichtweite war, suchte sie ihren Platz. Jetzt war sie allein unterwegs. Das Abenteuer konnte beginnen!

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Buchinfos

  • Titel: Frei bis in die Unendlichkeit
  • Autor: Sandra Rehschuh
  • Illustrator: Ricarda Stedron
  • ISBN: 9783944873077
  • Genre: Jugendroman
  • Umfang: 120 Seiten
  • Format: A5, Hardcover
  • Empfohlenes Alter: 10-14 Jahre
  • Preis (Print): 13,90 Euro
  • Preis (E-Book): 4,50 Euro
  • Verfügbar (Printbuch): shop.carow-verlag.de
  • Verfügbar (E-Book): Amazon