Leseprobe Kapitel 3
Fast fünf Stunden war sie nun schon unterwegs, hatte Landschaften und Städte gesehen, die ihr unbekannt schienen. Nun wurde der Zug langsamer und durch den Lautsprecher wurde ihr Zielbahnhof als der Nächste angekündigt. Draußen konnte Taya nicht mehr als Wiesen und Wälder entdecken. Ab und an einen kleinen Hügel, doch weder eine Straße noch Gebäude, größer als ein Schuppen, waren zu erkennen.
»Oh je, wo bin ich hier gelandet?« Sie stöhnte, als sie ihre Koffer nahm und sich in Richtung der Türen begab.
Das Quietschen der Bremsen erklang, dann gab es einen Ruck, der Taya einen Moment taumeln ließ, und dann stand der Zug. Die Türen öffneten sich und kühle Luft wehte ihr entgegen. Irgendwer sollte sie hier abholen, doch wer genau, das hatte ihr Vater nicht verraten. Sie stieg aus und beschloss, sich überraschen zu lassen. Im Notfall konnte sie sich allein auf den Weg machen und nach dem Reiterhof suchen. So viele würde es wohl hier in der Gegend nicht geben. Und wenn das keinen Erfolg brachte, dann eben ab in den nächsten Zug und wieder nach Hause fahren.
Gerade, als sie sich der Bahnhofshalle zuwenden wollte, die diesen Namen eigentlich nicht verdient hatte, denn sie bestand aus nicht mehr als ein paar Brettern mit Wellblech oben drauf, vernahm sie ein seltsames Geräusch, gefolgt von einem Wiehern.
Es war eine Kutsche, die am Bahnsteig zum Halten kam. Zwei schwarze Ponys waren davor gespannt, die genüsslich an den Grashalmen am Wegesrand knabberten.
»Das ist doch nicht deren Ernst?«, murmelte Taya und rührte sich nicht vom Fleck. In Büchern hatte sie diese Tiere schon einmal gesehen. Und auf einem Rummelplatz - aber dort auch nur aus weiter Ferne. Und jetzt standen sie fast vor ihr und beäugten sie mit ihren großen, dunklen Augen. Sie trat einen Schritt zurück und hielt sich an den Griffen ihrer Koffer fest. Nur nicht auffallen! Sie hatte irgendwann einmal gehört, dass Tiere Angst wittern und darauf aggressiv reagieren konnten. Auf keinen Fall wollte sie die Füße dieser Ponys auf ihrem Körper spüren, wenn sie über sie drüber rannten oder an ihr zu knabbern begannen.
»Du musst Taya sein, stimmt´s?« Ein älterer Herr stieg aus der Kutsche und kam lächelnd auf sie zu.
Taya setzte ihr Gepäck ab und musterte ihn einen Augenblick lang.
Braune, freundliche Augen blinzelten zu ihr hinab. Ein schwarzer Hut mit Krempe verdeckte die grauen Haare. Er war nur etwas größer als sie selbst, dafür umso dicker.
Taya riss sich aus ihren Gedanken, als ihr klar wurde, dass sie ihn einen Moment zu lang angestarrt hatte und das als unhöflich aufgefasst werden konnte.
»Ähm ... ja, ja«, stotterte sie. »Ich bin Taya.«
»Schön, dass du da bist. Unser Reiterhof ›Ceffyl cudd‹ heißt dich willkommen. Und ich natürlich auch. Nenn mich einfach Fritz. Ich lebe schon seit meiner Geburt auf dem Hof.«
Er zog seinen Hut und deutete eine Verbeugung an.
»WOW ... das ist ... aber schon ganz schön ... ähm, lange?«, fragte Taya verlegen, bevor sie sich auf eine andere Frage besann und schnell das Thema wechselte.
»Reiterhof Ceffyl äh ... cudd? Was soll das bedeuten?«
Der Alte lachte und setzte sich den Hut wieder auf.
»Ceffyl cudd kommt aus dem Welschen, einer Sprache der Allemannen, besser bekannt als Kelten, und bedeutet so viel wie ›Geheimes Pferd‹.«
»Geheimes Pferd? Na, das klingt ja seltsam ... und geheimnisvoll«, fügte sie rasch hinzu, als Fritz nichts erwiderte. Von den Kelten hatte sie schon einmal etwas gehört. Das war noch gar nicht so lange her, seit Frau Hofnarr diese Völkergruppe im Geschichtsunterricht behandelt hatte.
»Das wirst du nicht mehr sagen, wenn du erst auf unserem Hof bist«, versprach er und lächelte nun auch wieder. »Denn dieser steht auf keltischem Land und beherbergt noch so manches Geheimnis. Vielleicht«, fügte er augenzwinkernd hinzu »bist du ja diejenige, die eines der Geheimnisse lüftet?«
Dann nahm er ihre Koffer, trug diese hinüber zur Kutsche und verstaute sie dort. Anschließend machte er eine einladende Geste in Tayas Richtung.
»So junge Dame. Dann lass uns mal fahren!«
Auf diesen Moment hatte sie gewartet und ihn gefürchtet. Das Gefährt war schmutzig und stank sicherlich fürchterlich. Genau wie die beiden Ponys, die davor gespannt waren und am Gras am Wegesrand zupften.
Fritz schien ihren Blick falsch zu deuten.
»Das sind Paul und Paula. Unsere beiden Shetland-Ponys. Niedlich, nicht wahr? Sie sind jetzt schon ausgewachsen. Zum Reiten eignen sie sich nur für kleine Kinder. Aber hab keine Angst. Für dich werden wir schon das richtige Pferd finden - eines in deiner Größe.«
»Wie beruhigend«, murmelte sie und ging auf die Kutsche zu. Sich schon am ersten Tag unbeliebt zu machen, das würde ihr keine Vorteile bringen. Außerdem entsprach es nicht dem, was ihr ihre Eltern beigebracht hatten. Also biss sie die Zähne zusammen.
So schmutzig, wie sie zuerst gedacht hatte, war die Kutsche gar nicht. Etwas erleichtert stieg Taya zu dem Mann auf den Bock.
Dieser schnalzte einmal mit der Zunge, die beiden Ponys hoben die Köpfe und blickten ihn weiterkauend an.
»Los, los, meine Hübschen!«, rief Fritz.